Mein Standpunkt zu Sanktionen bei Hartz IV und bei der Sozialhilfe

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es gibt seit Jahren einen gewissen Mythos in Deutschland, nämlich den selbsterschaffenen Mythos der AfD, sie sei die Partei der kleinen Leute. Ich finde, Sie haben mit Ihrem Auftritt heute vor allem eines gezeigt: dass Sie für Menschen, die arm und auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind, vor allem eines übrig haben, nämlich Verachtung und Abwertung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt zur Sache. Heute stellt das Deutsche Kinderhilfswerk den Kinderreport für dieses Jahr vor. Dieser Report beschäftigt sich mit dem Thema Armut. Armut bei Kindern und Familien hat sehr, sehr viele Ursachen. Eine Ursache ist leider, dass das gesetzlich garantierte Existenzminimum eben nicht für alle garantiert ist.

Ich frage Sie: Wie erklären wir eigentlich Kindern, deren Eltern auf Sozialleistungen angewiesen sind, dass diese Leistungen gekürzt werden, wenn zum Beispiel ihr Vater, der an einer Depression leidet, einen Termin beim Jobcenter versäumt? Genau solche Fälle machen 80 Prozent aller Sanktionen aus.

Wie erklären wir diesen Kindern, dass es sogar passieren kann, dass die Heizung abgestellt wird oder sie aus ihrer Wohnung ausziehen müssen? Ich finde, das können wir diesen Kindern nicht erklären, sondern das müssen wir ändern.

Ein Existenzminimum ist ein – das sagt der Name bereits – Existenzminimum, und ein Minimum sollte nicht gekürzt werden.

Ich frage Sie auch: Wie erklären wir den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Jobcentern, dass sie einen großen Teil ihrer Zeit und ihrer Arbeitskraft darauf verwenden müssen, Meldeversäumnisse nachzuhalten, Sanktionen zu berechnen und Sanktionen zu verhängen, obwohl sie wissen, dass das den eigentlich kooperativen Charakter des Fallmanagements gefährdet und damit das Klima in den Jobcentern belastet?

Selbst viele Leiterinnen und Leiter von Jobcentern sagen mittlerweile sehr offen: Wir wollen mehr Zeit und mehr Ressourcen dafür, zu qualifizieren, zu fördern und zu vermitteln, und unsere Zeit nicht damit verbringen, Menschen zu kontrollieren. Ich finde, sie haben recht.

Die Sanktionen sowie die Einschränkungen von Leistungen sind keine wirkungsvollen Beiträge, um Langzeitarbeitslosigkeit zu verhindern.

Das zeigen eigentlich alle Studien. Der Staat nutzt diese Sanktionen vielmehr politisch. Genau diese Politik hat sehr viele Abstiegsängste bis weit in die Mitte der Gesellschaft verursacht. Deswegen sollten wir genau diese Politik korrigieren.

Mit der Agenda 2010, mit Hartz IV ist das Fördern und Fordern eingeführt worden. Diese Balance ist schon längst in einer Schieflage. Immer dann, wenn Sanktionen gegenüber Menschen verhängt werden, die eh schon arm sind, treffen diese Sanktionen Menschen dort, wo eigentlich das System versagt.

Deswegen sollten wir darüber sprechen, wie wir Menschen auch in unsicheren Lebenslagen ein Mindestmaß an sozialer Sicherheit und Teilhabe garantieren können. Wir sollten darüber sprechen, wie wir die Angebote zur Qualifizierung verbessern können. Wir sollten darüber sprechen, wie wir einen sozialen Arbeitsmarkt schaffen, der auch Menschen mit geringer Qualifikation Chancen und Perspektiven bietet,

und wir sollten ermöglichen, dass Hinzuverdienst nicht bestraft, sondern belohnt wird. Das wäre eine wirkungsvolle und würdevolle Sozialpolitik.

Apropos Würde – das ist mein letzter Gedanke –: Es wurde eben sehr viel über Grundrechte gesprochen, und in Artikel 1 unseres Grundgesetzes geht es um ein Grundrecht.

Artikel 1 des Grundgesetzes sagt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. In diesem Artikel 1 steht nicht, die Würde der Erwerbstätigen ist unantastbar, sondern die Würde des Menschen ist unantastbar.

Diese Würde, die gesetzlich und grundrechtlich garantiert ist, ist sanktionsfrei.

Genau so, nämlich sanktionsfrei, sollte auch die Grundsicherung in Deutschland sein.

Ich freue mich sehr auf die Debatte im Ausschuss und hoffe, dass wir bei diesem Thema endlich auch einmal einen richtigen Schritt nach vorne machen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.