Anlässlich des ersten Gedenktages für Magnus Hirschfeld im Rahmen des Hirschfeld Abends im Metropol schrieb Sven Lehmann, Beauftragter der Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt (Queer-Beauftragter) zur Würding seiner Leistungen und Verbindung mit der heutigen Situation von queeren Menschen einen Brief an Magnus Hirschfeld:
Lieber Magnus Hirschfeld,
Dein Einsatz für die sexuelle und geschlechtliche Identität als grundlegendem Menschenrecht
hat die Welt zum Guten verändert.
Du warst ein Pionier, ein Vorreiter für Freiheit und Selbstbestimmung.
Alle, die heute frei und selbstbestimmt leben und leben wollen und leben können, verdanken dir unendlich viel.
dank Dir und dank Deiner Arbeit sind wir stark.
Wir sind stärker als der Hass.
Wir sind wehrhaft.
Wir erkämpfen auch in harten Zeiten gesellschaftliche und rechtliche Fortschritte.
Deine Arbeit, Dein Werk, Dein Leben
waren schon länger im Visier nationalsozialistischer und reaktionärer Angriffe.
Mit der Machtübernahme durch die Nazis Anfang 1933 erhielten diese eine neue, lebensbedrohliche Dimension.
Du gerietst in den Fokus des nun staatlich organisierten Nazi-Terrors.
Am 6. Mai 1933 stürmten, plünderten und zerstörten Nazi-Studenten Dein Institut.
Die entwendeten Bücher wurden wenig später am 10. Mai, öffentlich verbrannt.
Du verfolgtest all dies aus dem Exil.
Du konntest nicht eingreifen,
Dein Werk nicht verteidigen,
seine Zerstörung nicht verhindern.
Die Ära der queeren Stadtkultur im Regenbogenkiez in Berlin fand ein jähes Ende.
Mit dem Eldorado war es endgültig vorbei.
Queere Treffpunkte, Bars und Lokale mussten schließen.
Und mit diesen Orten wurde auch unsere Community zerstört.
Queeres Leben galt für die Nazis als „undeutsch“ und „unnatürlich“ und wurde immer gnadenloser verfolgt.
Viele Politiker*innen, Kulturschaffende, Intellektuelle, jüdische Deutsche flohen aus ihrer Heimat Deutschland.
Viele schafften es nicht.
Auch homo- und bisexuelle Frauen und Männer, trans*, inter* und queere Menschen
wurden in Konzentrationslager verschleppt und ermordet.
Menschen, deren Freiheit Du erkämpft hattest.
Ich frage mich in diesen Tagen oft:
Hätte ich überlebt?
Hätte ich diese Zeit überlebt?
Vielleicht, mit etwas Glück.
Vermutlich aber nicht.
Erst vor kurzem habe ich dem Mann, den ich liebe, das Ja-Wort gegeben.
Ein Akt der Liebe und für viele heute eine Selbstverständlichkeit.
Aber selbstverständlich war das nie und ist es bis heute leider nicht.
Auch heute wird queeres Leben wieder angegriffen.
Wie einst die Nazis, so verteufeln auch heute wieder Rechtsextremisten und religiöse Fundamentalisten queeres Leben als „unnatürlich“, als „Propaganda“, als „Ideologie“, als „Gefahr“.
Lieber Magnus Hirschfeld,
vermutlich wärest Du entsetzt zu sehen,
wie auch in unserer vermeintlich progressiven Gesellschaft, knapp 100 Jahre nach Deinem Tod,
Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche, queere Menschen auf offener Straße beleidigt und angegriffen werden.
Aber:
Auch dank Dir und dank Deiner Arbeit sind wir stark.
Wir sind stärker als der Hass.
Wir sind wehrhaft.
Wir erkämpfen auch in harten Zeiten gesellschaftliche und rechtliche Fortschritte.
Wir werden die Freiheit und die Vielfalt verteidigen,
für die du so mutig gekämpft hast.
Ohne Dich hätten wir diese Kraft vielleicht nicht.
Du bist und bleibst die Seele unserer Community.
Und ich verbeuge mich vor Dir und Deinem Lebenswerk.