Foto: Frauenmuseum Bonn

Meine Rede zur Finissage der Jahresausstellung FLINTA*_Best Age im Frauenmuseum Bonn

Liebes Team des Frauenmuseums,
liebe Künstlerinnen und Anwesenden!

Ich freue mich sehr, hier heute im Frauenmuseum zu Gast zu sein zur Finissage dieser sehr besonderen Ausstellung.

 

„FLINTA*_Best Age“ – schon der Titel ist hochpolitisch.

Auf Einladung der beiden Kuratorinnen Silke Drombrowsky und Ellen Junger haben uns in den letzten sieben Monaten 41 Künstlerinnen an ihrer Auseinandersetzung mit dem Alter und dem Altern teilhaben lassen.

 

Was bedeutet es zu altern? Wie sind diese Erfahrungen verwoben mit patriarchalen Geschlechternormen?
Wie sind sie geprägt von Erwartungen und Zwängen, mit denen Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nicht-binäre, trans und agender Personen – kurz FLINTA* – alltäglich konfrontiert werden?

Dabei steht das Akronym FLINTA* selbstbewusst und explizit im Titel der Ausstellung. Und schon allein das mag für viele eine Provokation sein.

 

Denn auf diese Weise positioniert sich das Frauenmuseum selbstbewusst sowohl innerhalb einer feministischen als auch innerhalb einer gesamtgesellschaftlichen, mitunter sehr hart geführten Debatte um sexuelle und geschlechtliche Vielfalt. Dabei bekräftigt diese Positionierung das eigene Selbstverständnis als lebendiges Haus, als Werkstatt, als Labor, das sich aus der Fülle der weiblichen Kreativität und Vielfalt immer wieder erneuert. Diese Positionierung ist ein wichtiges Bekenntnis, das die Vielfalt eines zeitgenössischen und generationenübergreifenden Feminismus nicht nur anerkennt, sondern als Stärke feiert. Dazu braucht es Offenheit, Neugier, Mut und die Lust voneinander zu lernen, beieinander zu bleiben und sich miteinander auseinanderzusetzen. Für diese generationenübergreifende Offenheit und Neugier aufeinander steht das Frauenmuseum Bonn.

 

Ich war von mittlerweile fast 15 Jahren einmal zu Gast hier zu einer Diskussionsrunde zum Thema Männlichkeit und Feminismus und habe das als sehr bereichernd in Erinnerung. Für diese Offenheit und Neugier aufeinander steht diese Ausstellung. Sie bringt feministische und queere Positionen zusammen und sie beharrt auf der gemeinsamen Geschichte und den gemeinsamen Erfolgen der letzten Jahrzehnte. Wie eben gesagt, verortet sich das Frauenmuseum mit diesem Ausstellungstitel auch innerhalb einer gegenwärtig sehr aufgeheizten gesellschaftlichen Debatte um die Anerkennung und Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt.

 

Diese entzündet sich gegenwärtig insbesondere an einem zentralem queerpolitischen Vorhaben der Bundesregierung – dem Selbstbestimmungsgesetz. Erstmalig hat in diesem Sommer eine Bundesregierung einen Gesetzentwurf beschlossen, um das über 40 Jahre alte und in großen Teilen verfassungswidrige Transsexuellengesetz (TSG) abzuschaffen und die rechtliche Anerkennung von transgeschlechtlichen, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen zu verbessern. Das Selbstbestimmungsgesetz soll es ihnen ermöglichen, ihren korrekten Geschlechtseintrag durch eine einfache Erklärung beim Standesamt zu erhalten – ohne psychiatrische Zwangsgutachten und langwierige, teure Gerichtsverfahren. Mit dem Selbstbestimmungsgesetz wollen wir die jahrzehntelange staatliche Bevormundung und Fremdbestimmung von transgeschlechtlichen, intergeschlechtlichen sowie nicht-binären Menschen beenden.

 

Es geht also um Selbstbestimmung, um die Hoheit über das eigene Leben und die eigene Identität. Und dieses Recht auf Selbstbestimmung, das Recht, die Hoheit über das eigene Leben, den eigenen Körper, die eigene Sexualität innezuhaben und bis zum Ende des Lebens auch zu behalten, ist aus meiner Sicht ein ureigenster feministischer Wert. Und ein zentrales Thema dieser Ausstellung.

 

Die Kritik und der Widerstand gegen Geschlechternormen, gegen Geschlechterhierarchien, gegen Fremdbestimmung sind für mich auch die Basis für den Schulterschluss queerer und feministischer Aktivist*innen und Politiken. Die gemeinsame Geschichte basiert auf der Auseinandersetzung mit Sexualität, mit Partner*innenschaften, mit Familie, mit Körper, mit Identität. Es geht um den Mut zur Rebellion gegen Fremdbestimmung durch Staat und Gesellschaft. Aber auch um die Konsequenzen, die Stigmatisierung und die mitunter gewaltförmige Sanktionierung dieser Selbstbehauptung, dieses Widerstandes. Denn neben der Tabuisierung von Alternativen wurden und werden Normen und Hierarchien immer auch hergestellt und durchgesetzt mittels stigmatisierender Darstellungen oder gar staatlicher Zensur, brutaler Unterdrückung und strafrechtlicher Verfolgung von Vielfalt.

Wir erleben das leider wieder zunehmend in vielen Ländern.

 

Es geht bei diesem in aller Härte geführten Kulturkampf um die Selbstbehauptung und Freiheit als Frau, als Lesbe, als intergeschlechtliche, nicht-binäre, trans oder agender Person angesichts gesellschaftlicher Vorgaben, Erwartungen, Abwertungen und Zwängen. Es geht um ein selbstbestimmtes Leben, das FLINTA* in einer patriarchalen Welt im Namen der Tradition, der Religion, der Nation oder der Biologie immer wieder vorenthalten wurde bzw. bis heute wird. Und darum sind die Angriffe auf das Selbstbestimmungsgesetz, auf sexuelle und geschlechtliche Vielfalt insgesamt, meiner Meinung nach auch einzubetten in den gegenwärtig zu erlebenden antifeministischen und reaktionären Backlash. Sie sind das Aufbäumen des Patriarchats, mit seinem Machtanspruch über Körper, Sexualität und Identität von Menschen. Es gibt aber nur einen Menschen, der über Körper, Sexualität und Identität bestimmen sollte – und das ist jeder Mensch selbst!

 

In den letzten Jahren entwickelten sich weltweit neue rechtspopulistische und antifeministische Bewegungen, die gegen die Gleichstellung der Geschlechter und von LSBTIQ* sowie gegen sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte mobilisieren. Ihr Ziel: Gleichstellungspolitische Errungenschaften zu schwächen oder rückgängig zu machen. In einer generell sehr aufgeheizten Stimmung sind Angriffe auf sexuelle und geschlechtliche Vielfalt oftmals eingebettet in autoritäre, rechtspopulistische, religiös-fundamentalistische und nationalistische Regime und Politiken. Sie zielen immer auch auf den Abbau von Demokratie, Rechtstaatlichkeit und Gewaltenteilung insgesamt ab. Diesen Kräften geht es um eine Rückabwicklung emanzipatorischer Errungenschaften und Freiheiten. Sie wollen eine autoritäre und nationalistische Ordnung etablieren, die gesellschaftliche Vielfalt nicht respektiert, sondern diese bekämpfen will. Es geht ihnen um Unterordnung statt Selbstbestimmung, um Hierarchien statt Gleichwertigkeit. Damit dürfen sie keinen Erfolg haben!

 

Emanzipatorische Errungenschaften sind nie vom Himmel gefallen – bis heute nicht. Auch übrigens in einer sich als fortschrittlich verstehenden Bundesregierung. Vielmehr müssen sie täglich verteidigt und Fortschritt muss erkämpft und mühsam erarbeitet werden. Staatliche Politiken und Gesetze entstehen nicht im luftleeren Raum. Sie beruhen und berufen sich auf gesellschaftspolitische Diskurse und werden durch sie legitimiert.

Und diese Diskurse maßgeblich zu prägen, zu hinterfragen und voranzutreiben – darin sehe ich die transformative und die politische Kraft von Kunst.

 

Denn Kunst ist immer auch ein Ausdruck der menschlichen Erfahrung. Kunst erzählt von Liebe, Stärke, Schmerz, Trauma und Widerstand. Sie erzählt vom Leben, von dem, was uns Menschen ausmacht. Kunst hat die Kraft, uns tief zu berühren und komplexe und tiefgreifende Botschaften zu vermitteln, die weit über Worte hinausgehen. Mit ihren Werken können Künstler*innen Einspruch gegen das Bestehende erheben, Denkräume inspirieren, Alternativen anbieten. Sie können gesellschaftliche Diskurse ins Rollen bringen und Politik damit auch zum Handeln treiben. Kunst lässt uns in die Perspektiven anderer Menschen eintauchen und kann so Brücken zwischen Menschen bauen, ein Gefühl der Zugehörigkeit schaffen. Kunst kann uns helfen, uns selbst zu erkennen und die eigene Isolation und Unsichtbarkeit zu überwinden, sie kann Menschen motivieren, politisch aktiv zu werden.

Gleichzeitig durchziehen gesellschaftliche Machtverhältnisse aber auch die Kunst. Was gilt als Kunst? Wer als Künstler*in? Wem wird Kreativität und Schöpfungskraft zugeschrieben, wem aberkannt? Wer hat die Möglichkeiten, sich für ein Leben für die Kunst zu entscheiden? Wer wird anerkannt und hat Zugang zu Ausbildung, zu Förderung und Stipendien, zu Ausstellungsorten und Museen?

 

Do Women Have To Be Naked To Get Into the Met. Museum?
fragten daher etwa die Guerilla Girls. Sie brachten damit die Kritik feministischer Künstler*innen an der patriarchalen Schattenseite und den Produktionsbedingungen von Kunst auf dem Punkt. Diese waren sicher auch eine Motivation für die Gründung des Frauenmuseums Bonn vor über 40 Jahren.

Gleichzeitig hat feministische Kunst das subversive Potential und die Möglichkeit zur Selbstermächtigung über das künstlerische Schaffen nie aufgegeben. Ihre Kraft hilft denen, die sie schaffen und denen, die sie betrachten, dabei, Utopien für eine gerechtere Welt jenseits tradierter, patriarchaler und heteronormativer Geschlechterrollen zu entwickeln, eine Welt, die sexuelle und geschlechtliche Vielfalt sieht und anerkennt.

Diese Utopie wurde und wird hier im Frauenmuseum Bonn durch die Ausstellung FLINTA*_Best Age vorangetrieben.

 

Ich bin der festen Überzeugung, dass Vielfalt eine Gesellschaft freier und damit auch stärker macht. Wenn Menschen angst- und diskriminierungsfrei unterschiedlich sein können und dabei gleiche Rechte und gleiche Würde haben, dann ist das ein Gewinn für uns alle und auch für das Zusammenleben und Miteinander.

Daher bewundere ich es, dass hier in diesem Haus drei Generationen engagierter Feministinnen mit ihren unterschiedlichen Erfahrungen und Herangehensweisen einen Ort schaffen,an dem geschlechtliche und sexuelle Vielfalt gesehen und wertgeschätzt wird, der sich als Ort für FLINTA* positioniert und somit den aktuellen geschlechterpolitischen Diskurs voranbringt.

 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und vielen Dank für diese wichtige Ausstellung!