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Meine Rede zur Registrierung des Geschlechts im Geburtenregister

Frau Präsidentin! Liebe Abgeordnete!

Da Minister Seehofer es leider nicht für nötig hält, an dieser Debatte teilzunehmen – vielleicht ist ihm das Gesetz peinlich, man weiß es nicht; dieses Gesetz kann einem auch peinlich sein –, möchte ich mich direkt an Sie als Abgeordnete der Koalitionsfraktionen wenden. Haben Sie schon einmal in Ihrem Leben mit einem ärztlichen Attest nachgewiesen, dass Sie wirklich Mann oder Frau sind? Haben Sie dazu einen Nachweis über Ihren Hormonspiegel vorlegen müssen oder vielleicht ein psychologisches Gutachten? Was für absurde Fragen, mögen Sie jetzt denken. Aber das ist genau das, was Menschen in diesem Land passiert und was die Bundesregierung in ihrem heutigen Gesetzentwurf festschreibt. Damit muss endlich Schluss sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Das Bundesverfassungsgericht hat heute vor einem Jahr ein wegweisendes Urteil gesprochen. Sie erfüllen den Auftrag dieses Urteils aber nicht, Sie schaffen neue Probleme. Das oberste Gericht hat klar zum Ausdruck gebracht: Die Spezies Mensch besteht aus mehr als aus Mann und Frau. – Es ist übrigens schnurzpiepe, wie das Frau von Storch sieht; das ist die Realität.

Die Realität besteht aus geschlechtlicher Vielfalt. Jeder Mensch hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit und auf Schutz seiner Würde und seiner Grundrechte. Geschlechtliche Identität ist dabei ein zentraler Aspekt der eigenen Persönlichkeit. Dieses Urteil ist ein Verdienst von Vanja und dem Team der „Dritten Option“. Ihnen möchte ich an dieser Stelle von Herzen zu diesem großen Erfolg für unsere Grundrechte danken.

Was macht jetzt die Bundesregierung daraus? Sie legt einen Gesetzentwurf vor. Die Enttäuschung bei allen, die große Hoffnung in dieses Urteil gesetzt haben, ist groß. Für den neuen Geschlechtseintrag „divers“ legt die Regierung Bedingungen fest, unter anderem die Bedingung, ein ärztliches Attest vorzulegen. Und sie beschränkt ihr Gesetz auf Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung. Wissen Sie eigentlich, was das in der Praxis bedeutet? Das bedeutet, dass Menschen künftig ihren Körper, ihre Geschlechtsorgane, ihren Hormonspiegel von Ärztinnen und Ärzten begutachten lassen müssen, bloß um eine Urkunde zu ändern. Damit pathologisieren und bevormunden Sie intersexuelle Menschen.

In Deutschland werden sogar an gesunden Säuglingen und Kindern unumkehrbare geschlechtszuweisende Operationen vorgenommen. Diese Operationen gehören verboten.

Intersexuelle sind nicht krank. Krank ist ein System, das Menschen in zwei Schubladen pressen will, wo sie einfach nicht hingehören.

Deutschland ist bei der Anerkennung geschlechtlicher Vielfalt leider ein Entwicklungsland. Wie bei so vielen Themen sind viele Länder in Europa da weiter. Jetzt bestünde die große Chance, im Zuge des Urteils auch das entwürdigende und bevormundende Transsexuellengesetz endlich zu überwinden. Es bestünde die Chance, ein Gesetz zur Anerkennung der Geschlechtervielfalt auf den Weg zu bringen, so wie es das Deutsche Institut für Menschrechte, viele Juristinnen und Juristen, Ärztinnen und Ärzte und quasi alle Verbände fordern.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollege Lehmann, ich habe die Uhr angehalten, damit Sie Ihre übrige Redezeit noch ausschöpfen können. Ich bitte Sie, unseren Regeln entsprechend auf eine Demonstration in Gestalt eines T-Shirts zu verzichten und Ihre Jacke zu schließen.

Ich:

Ich kann die Jacke gerne schließen. Aber das ist kein politisches Symbol, sondern es ist das Symbol für geschlechtliche Vielfalt. Und darum geht es in dieser Debatte.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Ich weiß das. Wir haben aber Regeln, was das Zeigen von Symbolen betrifft.
Ich bitte Sie, Ihre Rede nun fortzusetzen.

Ich:

Ich kann die Jacke nicht vollständig schließen. Man sieht das Symbol zum Teil trotzdem noch. Ich setze die Rede daher so fort.

Die Welt gerät nicht aus den Fugen, wenn wir als Gesetzgeber endlich anerkennen, dass Menschen selber über ihren Geschlechtseintrag entscheiden können. Im Gegenteil: Wir würden damit den Druck von Eltern nehmen, ihr Kind in ein Rosa-Blau-Schema zu pressen, in das es nicht passt und in dem es auch nicht glücklich werden kann.

Am Samstag endet vor dem Kanzleramt die Aktion „Standesamt 2018“, bei der Hunderte Menschen in den letzten Wochen einen selbstbestimmten Geschlechtseintrag in Standesämtern beantragt haben. Ich selber war in dieser Woche in Köln dabei. Das war ein sehr emotionaler Moment nicht nur für mich, sondern für sehr viele Menschen. Diese Menschen fordern das ein, was ihr gutes Recht ist, nämlich das Recht, über ihr Geschlecht selber zu bestimmen.

Dieses Recht wird ihnen bis heute vorenthalten. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ändert daran leider gar nichts. Wir Grüne werden uns im parlamentarischen Verfahren sehr dafür einsetzen, dass der Gesetzentwurf an den entscheidenden Stellen geändert wird. Ich nehme die SPD ernst und gehe davon aus, dass es Veränderungen geben wird; das finde ich sehr gut. Wir setzen auf konstruktive Beratungen.

Letzter Satz. Über seinen Körper, seine Sexualität und sein Geschlecht kann es nur einen geben, der darüber bestimmt, nämlich jeder Mensch selber.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.