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Meine Rede zum Haushalt 2019

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Unter dem Hashtag „#unten“ schildern gerade Tausende Menschen in den sozialen Medien ihre Erfahrungen mit Armut und Ausgrenzung. Auch ich persönlich habe diese Erfahrungen gemacht: Meine Mutter war lange alleinerziehend und hatte nur ein sehr kleines Einkommen. Nur durch sehr viel Verzicht hat sie es geschafft, dass ich das kaum spüren musste.

Wir reden heute hier über den größten Etat in diesem Haushalt. Da sind durchaus einige richtige Maßnahmen drin, aber es klafft eine große Leerstelle, nämlich wenn es darum geht, zielgenau die Teilhabe und die Würde derjenigen zu stärken, die jetzt arm sind. Das ist verdammt traurig, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Bleiben wir mal bei den armen Kindern und Jugendlichen – immerhin 3 Millionen in Deutschland. Es gibt jetzt eine Kindergelderhöhung; das finde ich gut. Aber davon bekommen Kinder in Hartz IV keinen einzigen Cent, weil das Kindergeld angerechnet wird. Und es gibt höhere Steuerfreibeträge; auch das finde ich gut. Aber davon haben Familien nichts, die keine Steuern zahlen.
Was es aber nicht gibt, ist eine Erhöhung des Kinderregelsatzes. Wir Grüne haben deshalb eine sachgerechte Erhöhung beantragt. Sie haben das abgelehnt. Somit verschärft sich mit diesem Haushalt die Schere zwischen den Familien. Genau umgekehrt wäre es richtig: Wir müssen dafür sorgen, dass die Kinder am meisten Unterstützung bekommen, die sie am meisten brauchen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Und da geht es neben Geld auch um ganz alltägliche Dinge wie das Recht auf ein warmes Mittagessen, auf Bus und Bahn, auf Klassenfahrt; das haben wir eben schon gehört.
Man muss schon sehr gute Sozialarbeiter an seiner Seite haben, um durch den Formulardschungel durchzusteigen, den das sogenannte Bildungs- und Teilhabepaket produziert hat.

Im letzten Jahr hat nur ein Drittel der leistungsberechtigten Kinder diese Leistungen tatsächlich in Anspruch genommen. Das Zynische ist: Mit dieser niedrigen Quote kalkuliert die Bundesregierung jetzt bei ihrem sogenannten Starke-Familien-Gesetz. Richtig stark wäre es aber, das Bildungs- und Teilhabepaket endlich aufzulösen und die Mittel unbürokratisch in höhere Kinderregelsätze und in kostenfreie Angebote vor Ort zu geben. Das wäre stark, und das würden die Kinder und Familien auch spüren, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Warum also erhöhen Sie die Kinderregelsätze nicht? Ich glaube, Sie trauen den Eltern nicht zu, dass sie mit dem Geld schon das Richtige für ihre Kinder tun. Dabei hat die Bertelsmann-Stiftung erst vorgestern sehr eindrücklich genau dieses Vorurteil widerlegt: Eltern sparen, wenn sie sparen müssen, zuerst bei sich und erst dann bei ihren Kindern.

Aber dieses Vorurteil hält sich leider hartnäckig. Dieses Menschenbild – es geht um Menschenbilder – zeigt sich auch mal wieder in der aktuellen Debatte zu Hartz IV. So lässt sich der FDP-Vorsitzende Christian Lindner allen Ernstes damit zitieren, man solle Steuereinnahmen nicht „denjenigen … geben, die nicht arbeiten wollen“. Mit dem Geld werde finanziert – Zitat –, dass vielleicht ein junger Mann ohne Schulausbildung sagt, ich hab einfach keine Lust zu arbeiten. Ich bleibe zu Hause. Zitat Ende. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie herablassend und zynisch das ist, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP.

1,2 Millionen Menschen in Hartz IV arbeiten, verdienen aber zu wenig und müssen deswegen aufstocken. 4,6 Millionen Menschen sind dauerhaft in Minijobs beschäftigt. Armut ist ein Mangel an Geld, nicht ein Mangel an Charakter, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP.

Wir Grüne werden weiter dafür streiten, dass wir Menschen motivieren und befähigen, anstatt sie zu sanktionieren. Wir werden dafür streiten, die Arbeit der Jobcenter besser zu machen, auch indem wir die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von unsinniger Bürokratie entlasten. Wir werden dafür streiten, den Zuverdienst zu belohnen, statt ihn zu bestrafen. Und wir werden dafür streiten, jedem Menschen ein Mindestmaß an Teilhabe zu garantieren, nicht, weil er es sich verdienen muss, sondern einfach, weil er ein Mensch ist.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.