Meine Rede zu der Erhöhung des Hartz-IV-Satzes

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich hätte jetzt sehr gerne auf Herrn Witt von der AfD reagiert, aber der hält es offenbar nicht für notwendig, an der weiteren Debatte teilzunehmen.

Das zeigt übrigens, wie ernst die AfD diese Debatten im Bundestag nimmt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Regelsatz in der Grundsicherung wird in der Tat seit vielen Jahren politisch kleingerechnet. Er reicht nicht aus, um an der Gesellschaft teilzuhaben, er zementiert Armut. Das ist inakzeptabel, und das wollen und das müssen wir ändern, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Im letzten Jahr gab es eine sehr spannende Debatte. Da hat Gesundheitsminister Jens Spahn mit seinen Aussagen zu Hartz IV heftige Debatten ausgelöst, und das zu Recht. Ich wiederhole noch mal, was er damals gesagt hat – Zitat –:

Hartz IV bedeutet nicht Armut, sondern ist die Antwort unserer Solidargemeinschaft auf Armut. … Damit hat jeder das, was er zum Leben braucht.

Jetzt frage ich Sie: Ist das Leben mit täglichen Existenzängsten, ein Leben am Rand der Gesellschaft, tatsächlich das, was Menschen brauchen? Ich beantworte diese Frage mit der Schilderung des Alltags einer Frau aus Nordrhein-Westfalen, eines Alltags, den leider sehr viele Menschen mit wenig Geld kennen.

Frau Müller ist seit drei Jahren auf Hartz IV angewiesen. Sie ist 61 Jahre alt und gelernte Bürokauffrau. Nach Abzug laufender Fixkosten bleiben ihr noch rund 50 Euro pro Woche für alle Ausgaben. Die Preise im Discounter für das billigste Brot kennt sie genau. Ihre Haare schneidet sie sich selbst, da ein Friseur einfach nicht zu bezahlen ist.

Ständig treibt sie die Angst um, dass etwas Unvorhergesehenes passiert. Die Waschmaschine darf nicht kaputtgehen, sonst muss sie ein Darlehen aufnehmen. Hoffentlich kommt mit der nächsten Stromrechnung keine Nachzahlung. Kinobesuche oder kleine Ausflüge sind schon lange nicht mehr drin. Aber zur Tafel geht sie nicht, weil sie keine Bittstellerin sein möchte. – Dieses Beispiel zeigt: Hartz IV reicht vielleicht zum Überleben, aber es reicht nicht zum Leben. Frau Müller ist nur eine von sehr vielen Menschen in Deutschland, denen es so geht.

Teilweise wird in der Debatte gesagt: Wir können uns eine Erhöhung der Regelsätze finanziell nicht leisten. – Ich finde, die Frage ist erst mal nicht, ob wir uns das finanziell leisten können, sondern die Frage ist, ob wir es uns menschlich leisten können, es nicht zu tun. Und ich finde, das können wir nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Die Bundesregierung hat ihren Spielraum bei der Berechnung des Regelsatzes so weit nach unten ausgereizt, dass zuletzt sogar der Sozialrat der Vereinten Nationen Deutschland aufgefordert hat, die Grundsicherungsleistungen zu erhöhen, weil sie keinen ausreichenden Lebensstandard ermöglichen. Passiert ist aber seither nichts – nada, gar nichts, kein Satz im Koalitionsvertrag, einfach nichts.

Bei der Regelsatzermittlung darf nicht die Haushaltslage, sondern es muss die Würde des Menschen leitend sein. Und die gilt nicht nur für Erwerbstätige, sondern die gilt für alle Menschen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Auch das sogenannte Lohnabstandsgebot, was immer wieder gerne in Debatten genannt wird, darf für die Regelsatzermittlung keine Rolle spielen.

Denn gerne wird dieses Argument bedient, um einen niedrigen Regelsatz zu rechtfertigen. Ja, Menschen, die erwerbstätig sind, sollen selbstverständlich mehr haben als diejenigen, die es nicht sind.

Aber es ist komplett falsch, deswegen die Grundsicherung so dermaßen niedrig zu halten. Wir brauchen stattdessen höhere Löhne, bezahlbare Mieten und eine stärkere Tarifbindung. Wer stattdessen Menschen mit niedrigem gegen die mit keinem Einkommen ausspielt, der spaltet die Gesellschaft, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Die derzeitige Regelsatzermittlung ist einfach Ausdruck einer falschen Politik; denn die Bundesregierung hat einen Weg gefunden, den Regelsatz politisch kleinzurechnen. Er wird derzeit nämlich aus den Ausgaben der Armutshaushalte abgeleitet, also von Haushalten, die selber jeden Cent umdrehen müssen und die deswegen in ständiger Existenzangst leben. Zusätzlich legt die Bundesregierung den Rotstift an, sodass der Regelsatz noch mal niedriger ausfällt.

Die Liste von Dingen, die Erwerblose in diesem Land alles nicht dürfen, ist lang: kein Alkohol, kein Tabak, kein Eis im Sommer, keine Handykosten, keine Schnittblumen. Und auch Malstifte für Kinder werden centgenau aus dem Regelsatz herausgestrichen, weil sie nach Ansicht der Bundesregierung nicht zur Sicherung des Existenzminimums notwendig sind. Der Regelsatz ist  dermaßen auf Kante genäht. Er ist einer Grundsicherung unwürdig, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Die Berechnung der Regelsätze sollte sich am Einkommen und Verbrauch der Mitte der Gesellschaft orientieren und nicht an den Ärmsten der Armen.

Das ist die zentrale Forderung, die wir Grüne hier heute erheben.

Es ist Zeit für eine Neuberechnung des Existenzminimums. Von der würden übrigens alle Menschen durch einen höheren Steuerfreibetrag profitieren. Diese Neuberechnung muss erstens mit den Taschenspielertricks Schluss machen, sich zweitens an der gesellschaftlichen Mitte orientieren und drittens dem verfassungsrechtlich verankerten Anspruch auf soziale Teilhabe oberste Priorität einräumen. Und es muss natürlich klar sein – lieber Matthias Zimmer, da unterscheiden wir Grüne uns sehr eindeutig von der CDU –, dass das Existenzminimum vollständig von Sanktionen ausgenommen wird.

Ich komme zum Schluss. Wir Grüne streiten für eine existenzsichernde und sanktionsfreie Garantiesicherung; denn das Recht eines Menschen auf Teilhabe leitet sich nicht aus dem ab, was er auf dem Arbeitsmarkt leistet, sondern aus seiner Würde.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.