Laudatio anlässlich der Verleihung der Kompassnadel an Vanja und das Team 3. Option

“Über unsere Sexualität, unsere Körper und unser Geschlecht bestimmen wir selbst – und sonst niemand!”

Beim diesjährigen Kölner CSD-Empfang der Aidshilfe NRW und des Schwulen Netzwerks NRW wurde Vanja und das Team der Dritten Option mit der Kompassnadel für ihr herausragendes Engagement für die Anerkennung geschlechtlicher Vielfalt ausgezeichnet. Ich hatte die große Ehre die Laudatio für diese wunderbaren jungen Menschen zu halten:

Liebe Freundinnen und Freunde,

liebes Henriette Reker,

liebe Steffen Schwab,

liebes Claudia Roth,

lieber Elfi Scho-Antwerpes,

irritiert Euch die Anrede? Fühlt sich das irgendwie falsch an?

Wie fühlt es sich an, nicht so angesprochen zu werden, wie man sich selber definiert?

Es fühlt sich falsch an. Genauso falsch, wie wenn ein schwules Paar eine Einladung bekommt mit dem Zusatz „Herr Soundso plus Gattin“. Genauso falsch, wie wenn eine lesbische Frau zu hören bekommt, sie habe nur noch nicht den Richtigen gefunden. Genauso falsch, wie wenn über einen bisexuellen Menschen gesagt wird, das sei nur eine Phase.

Viele von Euch und uns haben diese Erfahrungen gemacht. Erfahrungen, dass die eigene Identität oder die eigene Sexualität abgewertet oder sogar pathologisiert wird. Eigentlich leben wir damit unser ganzes Leben. Und warum? Nur deswegen, weil Menschen die Dreistigkeit haben, über Sexualität, Geschlecht oder Körper von anderen bestimmen zu wollen. Und wir sind an diesem Wochenende auch hier, um weiter zu nerven, um weiter hartnäckig und laut und kämpferisch zu bleiben, bis alle es endlich kapiert haben:

Über unsere Sexualität, über unser Geschlecht und über unsere Körper bestimmen wir selbst – und sonst niemand!

Einen gesellschaftspolitischen Meilenstein für geschlechtliche Selbstbestimmung und für die Überwin-dung einer stereotypen Vorstellung, die nur zwei Geschlechter kennt und definiert wie „richtige“ Männer und Frauen zu sein haben, hat die Person mit ihrem Team gesetzt, die wir heute ehren.

Ich freue mich ganz besonders, dass das Schwule Netzwerk NRW sich entschieden hat, die goldene Kompassnadel in diesem Jahr an Vanja und die Kampagne „Dritte Option“ zu verleihen – ich finde eine goldrichtige Entscheidung zur genau richtigen Zeit!

Fünf Jahre ist es her, dass Vanja mit dem Wunsch, einen anderen Eintrag als „männlich“ oder „weiblich“ im Geburtenregister rechtlich durchzusetzen, auf einige Personen zugekommen ist. Aus dieser Idee heraus entstand die Kampagnen-Gruppe „Dritte Option – für einen dritten Geschlechtseintrag“. Zum Kernteam gehören Mika Schäfer, Moritz Prasse und Louis Kasten, der heute leider nicht dabei sein kann.

Im Juli 2014 hat Vanja, stellvertretend für viele intersexuelle Menschen in Deutschland, einen Antrag zur Änderung des Eintrages in der eigenen Geburtsurkunde von weiblich in „inter/divers“ beim zustän-digen Standesamt eingereicht. Um endlich für alle Menschen, die sich nicht (ausreichend) mit den Be-griffen “männlich” oder “weiblich” bezeichnet sehen, eine selbstbestimmte, positive Alternative zu schaf-fen.
Dieser Antrag wurde erwartungsgemäß mit Hinweis auf das geltende Recht abgelehnt. Und damit folgte ein langer, steiniger Weg, durch alle richterlichen Instanzen, vom Amtsgericht über das Oberlandesge-
richt und den Bundesgerichtshof. Dieser erklärte, mit der bestehenden Möglichkeit, das Feld Ge-schlechtseintrag frei zu lassen, sei ausreichend Gleichberechtigung gegeben. Die Schaffung einer wei-teren Option zum Geschlechtseintrag entspreche nicht dem Willen des Gesetzgebers und würde das „staatliche Ordnungsinteresse“ in erheblichem Umfang betreffen.

Was für eine krasse, herablassende Begründung – als sei es Aufgabe des Staates, zu bestimmen, wie Menschen zu sein haben.

Vanja und die Kampagnengruppe hat sich davon nicht entmutigen lassen und weiter für ihr Recht ge-kämpft. Zusammen mit einer wachsenden Gruppe von Aktivist*innen der Kampagne Dritte Option hat Vanja Geld gesammelt, Infoveranstaltungen und eine Demo organisiert, Pressearbeit gemacht und ist durch ganz Deutschland gereist, um zu informieren. Nicht immer gab es positives Feedback. Die medi-ale Aufmerksamkeit hat auch zu Hasskommentaren und Anfeindungen geführt.

Im Herbst 2016 reicht Vanja, unterstützt von vielen Menschen, Verfassungsbeschwerde gegen die ab-lehnende gerichtliche Entscheidung beim Bundesverfassungsgericht ein. Mehr als ein Jahr später, spricht das Bundesverfassungsgericht ein Machtwort.
Es fordert den Gesetzgeber dazu auf, bis Ende dieses Jahres eine Neuregelung des Personenstands-rechts auf den Weg zu bringen, eine dritte Option zum Geschlechtseintrag einzuführen oder gänzlich auf einen Geschlechtseintrag zu verzichten. Was für ein Erfolg!

Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die ohne den Mut und das Durchhaltevermögen von Vanja und der Unterstützung und Solidarität der Kampagnengruppe nicht zustande gekommen wäre, ist wegweisend.

Denn unser oberstes Gericht stellt in seiner Urteilsbegründung heraus, dass die geschlechtliche Identi-tät ein zentraler Aspekt der eigenen Persönlichkeit ist. Das bestehende Personenstandsrecht verlange von Menschen ohne eindeutig männliche oder weibliche Zuordnung irregulär, sich entweder dem binä-ren System anzupassen, oder sich ohne Geschlechtseintrag als geschlechtslos definieren zu müssen. Es ist damit ein Urteil, dass die Selbstbestimmung als Persönlichkeitsrecht klar in den Vordergrund rückt.

Vanja und die Kampagne Dritte Option haben damit stellvertretend, mutig und unter hohem persönli-chen Einsatz, einen Kampf für die gesellschaftliche und rechtliche Akzeptanz und Sichtbarkeit für alle Menschen jenseits von Mann* oder Frau* gewonnen.
Sie haben ein Bewusstsein in der Gesellschaft dafür geschaffen, dass intergeschlechtliche Menschen nicht länger pathologisiert und unsichtbar gemacht werden dürfen.

Leider scheint es derzeit so, als ob das zuständige Innenministerium die Botschaft des Bundesverfas-sungsgerichtes nicht verstanden hat. Der vorliegende Gesetzesentwurf von Horst Seehofer gilt aus-schließlich für intersexuelle Menschen. Er beschränkt sich darauf, mit „weiteres“ eine neue Geschlechts-kategorie zu schaffen, die auf Antrag und nur mit medizinischem Attest gewählt werden kann. Von ge-schlechtlicher Selbstbestimmung kann dabei keine Rede sein.
Dabei bestünde jetzt die Chance, endlich das entwürdigende und falsche Transsexuellengesetz endlich zu überwinden. Es bestünde die Chance, auch transgeschlechtlichen und nicht-binären Menschen end-lich die Möglichkeit einer selbstbestimmten Personenstandswahl ohne pathologisierende Zwangs-Gut-achten zu ermöglichen. Es bestünde die Chance, endlich zu verbieten, an wehrlosen Säuglingen und Kleinkindern Operationen und Hormonbehandlungen durchzuführen, bloß, um sie in ein rosa/blau-Schema zu pressen. Nichts davon findet sich derzeit im Gesetzentwurf der Bundesregierung wieder.

Es ist also dringend nötig, den von Vanja und der Dritten Option ins Rollen gebrachte Meilenstein weiter in Fahrt zu halten. Dazu braucht es den Druck von Euch allen, damit das Gesetz das Recht auf eine selbstbestimmte Geschlechtsidentität garantiert.

Im Herbst dieses Jahres knüpft die „Aktion Standesamt 2018“ an die Kampagne „Dritte Option“ an. Je mehr Menschen dann in die Standesämter gehen und beantragen, ihr Geschlecht korrekt eintragen zu lassen, desto größer wird der Druck auf die Politik. Je mehr Menschen diese Aktion unterstützen, ver-breiten und Menschen zum Standesamt begleiten, umso sichtbarer werden die Solidarität und die me-diale Aufmerksamkeit sein.

Angesichts der derzeitigen gesellschaftlichen Klimas braucht es für progressive und soziale Politik vor allem eins: Solidarität. Solidarität auch innerhalb unserer Community. Was geht es schwule Männer an,
ob intersexuelle Säuglinge zwangs-operiert werden? Sehr viel. Was geht es lesbische Frauen an, ob in Ägypten Polizisten schwule Männer mit Dating Apps ausspionieren? Sehr viel. Was geht es Bisexuelle an, ob Transsexuelle bei einer Änderung ihres Personenstandes psychiatrische Gutachten vorlegen müssen? Sehr viel.

Denn immer geht es im Kern um die Frage, ob Körper, Geschlecht oder Sexualität von anderen kon-trolliert werden oder jeder Mensch frei und selbstbestimmt darüber bestimmen kann. Genau das werden wir aber nur mit einer solidarischen Community erreichen.

Vanja und das Team Dritte Option, ihr könnt Euch unser aller Unterstützung sicher sein – und wir alle gratulieren Euch von Herzen zu dieser verdienten Auszeichnung!